TRUMPS POLITISCHES WATERLOO – KOMMENTAR
Seit sich Donald Trump im Klaren darüber ist, dass die Corona-Krise ihm die gewichtigsten Argumente für seine Wiederwahl genommen hat, ist er in eine neue Rolle geschlüpft: die eines beratungsresistenten Kriegspräsidenten. Während seine Versprechungen, wie Börsenboom, Wachstumsraten und Jobwunder gerade wie Kartenhäuser zusammenfallen, inszeniert der Präsident der USA gerade durch martialische Rhetorik und trumpeskes Eigenlob eine Scheinwelt, die es nur in seinen Phantasien zu geben scheint.
In der Realität trifft Covid-19 die Staaten gerader mit voller Wucht. In New York stoßen Krankenhäuser bereits an ihre Grenzen und die Zahlen der Neuinfektionen entwickeln sich dramatisch. Zweimal in Folge gab es rund 10.000 neue Fälle innerhalb eines Tages. Allein in der letzten Woche hat sich die Zahl der Infizierten ver-15-facht. Die Dunkelziffer dürfte zudem riesig sein. Die Nachfrage an Corona-Tests können die USA aktuell nicht mal im Ansatz erfüllen. Trotz dieser katastrophalen Lage erklärt der Präsident: „Amerikas Wirtschaft wird wieder geöffnet sein – schon bald.“
Zum Glück gibt es im Weißen Haus auch Gegner von Trumps Plänen. Einer von ihnen ist der medizinische Berater, Anthony Fauci. Ihm ist bislang das Schicksal erspart geblieben, das so viele ereilt, die Donald Trump mit der Wahrheit kommen. Der angesehene Immunologe ist die wohl wichtigste Stimme in der Taskforce zur Bekämpfung des Coronavirus in den USA. „Soweit ich weiß, wurde ich nicht gefeuert“, stellte Fauci in einem Interview mit dem Wissenschaftsmagazin Science am Wochenende fest. Was noch nicht ist, kann aber noch werden. Denn an den nahezu täglichen Briefings im Weißen Haus zur Lage der Pandemie nahm der Direktor des Nationalen Instituts für Allergien und Infektionskrankheiten zuletzt nicht mehr teil. Zuvor war seine Reaktion auf die Ausführungen des Präsidenten bei einer dieser Pressekonferenzen viral gegangen. Während Trump sprach, schien Fauci die Hand vors Gesicht zu nehmen, um seine Verzweiflung zu verbergen. Und der Experte scheute sich auch nicht, den Präsidenten inhaltlich zu korrigieren. Nachträglich, denn er könne ja „nicht vor die Mikrofone springen und ihn wegdrücken“. Vielleicht spart er sich deshalb neuerdings die Auftritte.
Andersrum ist Trump alles andere als begeistert von dem, was nicht nur Fauci empfiehlt, um die Ausbreitung des Virus einzudämmen: soziale Distanzierung und wirtschaftlicher Shutdown, wo Homeoffice nicht möglich ist. Und das für lange Zeit. Es besteht die Gefahr, dass Trump den Rat der Wissenschaft ignoriert und lieber auf die belasteten Unternehmer hört. Auf das Gejammer seiner Lieblinge aus den Fox-News-Sendungen, auf seinen Schwiegersohn Jared Kushner, der sich mit unklarem Mandat in die Arbeit des Corona-Krisenstabs einmischt. Der Präsident hofft, Ende des Monats zumindest wieder einige Amerikaner zur Arbeit schicken zu können und sagt: Die Einschränkungen würden „bald enden“: „Wir können nicht zulassen, dass die Heilung schlimmer ist, als das Problem.“ Fauci würde da wohl wieder das Gesicht in der Hand vergraben.
Wenn Trump sich zwar manches auch von den Experten anhört, aber vieles anderswo aufschnappt und dann einfach mit irgendetwas vorprescht, ist das tatsächlich hochgefährlich. Jüngst etwa empfahl er mehrfach den Malaria-Wirkstoff Chloroquin, der gegen Covid-19 helfen könne. Er habe „ein gutes Gefühl“. Es klang bei ihm wie ein Durchbruch: „Es ist sehr effektiv. Es ist ein starkes Medikament.“ Experten stritten ab, das entsprechende Behandlungen bereits genehmigt oder sinnvoll seien. Aber offenbar versuchten es einige Menschen trotzdem: Ein Ehepaar, beide über 60, nahm das Mittel ein – der Mann starb inzwischen daran, die Frau ist in kritischem Zustand. Der Präsident hatte zuvor am Freitag sogar behauptet, er habe Chloroquin bereits massenweise bestellt. „Sie können es jetzt, wenn Sie möchten, auf Rezept bekommen“.
Corona kommt für Trump zur denkbar ungünstigsten Zeit. Denn der Präsident befindet sich mitten im Wahlkampf. Er ist bemüht Optimismus zu verbreiten und die Gefahr herunterzuspielen. Inmitten der extremen Verbreitung des Virus ist das aber ein fatales Signal. Viele Menschen bangen um ihre Existenz, haben ihre Jobs verloren oder müssen fürchten, dass sie weder getestet noch behandelt werden können. Was den Präsidenten daran am meisten beunruhigt, scheint aber nicht die Gefahr für Leib und Leben der Bevölkerung zu sein, sondern die Bedrohung seiner Wiederwahl, wenn die Wirtschaft kollabiert. Und für diesen gnadenlosen Blick auf das Geschehen bekommt Trump auch noch Rückhalt. Der Vizegouverneur von Texas, Dan Patrick, etwa meint ernsthaft, nun müsse diskutiert werden, ob nicht die älteren Amerikaner geopfert werden sollten. Er selbst sei bereit, sein Leben zu geben, damit das Amerika, das alle liebten, für seine Enkel erhalten bliebe. Wirtschaft retten statt Menschenleben also: „Ich will nicht, dass das ganze Land geopfert wird“, sagte der 69-Jährige. Er empfehle: „Lasst uns wieder zur Arbeit gehen, lasst uns wieder leben.“ Und das schlimmste ist: Diese Strategie wäre auch Trump zuzutrauen.
Fauci jedenfalls wird hoffentlich die nächsten Wochen weiter vorsichtig das geraderücken, was der Präsident an widersprüchlichen und teils gefährlichen Versprechen und Verharmlosungen in die Welt setzt. Wenn man es mit dem Weißen Haus zu tun habe, sagte der Immunologe zuletzt, „muss man manche Sachen ein, zwei, drei, vier Mal sagen, und dann passiert es“. Bis Trump auf jemand anderen hört.