TRANSIT, ANNA SEGHER – THEATERKRITIK
Hoffnung auf Freiheit
Alle Welt will nach Europa. Vor 80 Jahren sah das anders aus. Da wartete man an den südeuropäischen Küsten sehnsüchtig auf ein Visum, das die Ausreise gewährte.
Anna Seghers‘ autobiographischer Exilroman aus den 1940er Jahren wird im Staatstheater Braunschweig von der Regisseurin Alice Buddeberg auf berührende und spannende Weise inszeniert. Es entsteht dabei ein Kopfkino, das zwischen Vergangenheit und Gegenwart springt und damit den Blick auf die Aktualität der Geschichte richtet.
Mit Romanadaptionen ist das immer so eine Sache: Sie neigen dazu, auszuufern. Wenn dann auch noch ein einziger Schauspieler auf der Bühne sitzt und eine Geschichte – DIE Geschichte, „ganz von Anfang an“ erzählen will – dann ist das schon fast eine Drohung. Mit der Bühnenadaption des gleichnamigen Romans von Anna Seghers ist Regisseurin Alice Buddeberg am Staatstheater Braunschweig ein Wagnis eingegangen. Sie hat nicht versucht, die vielen kleinen Geschichten, die sich in der Erzählung verbergen, zu inszenieren. Stattdessen konzentriert sie sich auf die Hauptgeschichte. Johannes Kienast als Erzähler sitzt auf einem Stuhl und trinkt Rosé. Er ist nicht allein auf der Bühne und doch wirkt er unheimlich einsam. Das Publikum ist sein Gegenüber in einem Marseiller Café. Er erzählt seine Geschichte, die nur eine unter vielen, ähnlichen Schicksalen ist. Seine aufgestaute Erzählung ergießen sich in einem wahren Wasserfall des Mitteilungsdrangs über die Zuschauer. Aber auch Kienast wirkt zuweilen verloren in diesem Meer aus Text. Der Wortstrom reißt ihn mit und manchmal taumelt er. Dann und wann ist der Text stärker als sein Interpret. Es sind Flüchtlingsgeschichten, die in diesem Café in Marseille zusammenfließen. Geflohen aus Konzentrationslagern, Arbeitslagern, aus Deutschland, aus Paris treffen die Menschen in Marseille ein, um mit einem Schiff nach Kuba, Mexiko oder Martinique überzusetzen. Sie alle vereint das Warten: Warten auf Visa, auf Geld, vor allem aber auf Transiterlaubnis.
Johannes Kienast, spielt und beschreibt sich als einen dieser Deutschen, der vor den Nationalsozialisten nach Frankreich geflohen ist. Nach dem Einmarsch der Wehrmacht wartet er in Marseille auf sein Visum und die Möglichkeit einer Weiterreise. Er findet Freunde in seinem Exil und verliebt sich. Mit der Zeit hat er dann Wahl, seine Flucht fortzusetzen, oder sich dem antifaschistischen Kampf anzuschließen und für seine Freiheit in seiner neuen Heimat zu kämpfen.
Dabei leistet Kienast über eineinhalb Stunden lang schwere Arbeit. Er versucht, die starken Stimmungen, die der Text beschreibt, zu vermitteln. Er ist zugleich der Einzelne und die Masse. Er stellt einen Getriebenen dar, einen, der keine Ruhe findet, der immer wieder mit fortgerissen wird, von dem Flüchtlingsstrom, obwohl er endlich einmal an einem Ort bleiben möchte. Ein normales Leben, ohne ständige Abschiede. Ein Leben mit einer Frau, das ihm bisher versagt blieb.
Auf berührende und spannende Weise wird Anna Seghers’ Roman Transit in dieser Inszenierung lebendig. Der Text berauscht und überwältigt. Es werden bewegende, überzeugende Geschichten von Flüchtenden erzählt, in denen sich nicht nur einzelne, sondern viele Schicksale spiegeln. Dabei verharrt man als Beobachter mit den Figuren im Transitraum. In einer Art Warteschleife mit der Hoffnung auf ein besseres Leben.