68. INTERNATIONALEN FILMFESTSPIELE BERLIN

Realität im Fokus

„Brexit. Trump. Und jetzt auch noch die Verkündung des Goldenen Bären durch die Berlinale-Jury. Wahrlich, wir leben in einem Zeitalter der Katastrophen.“

Zehn Tage Berlinale im kalten Februar sorgen nicht bei jedem Kino Fan für Begeisterung. Peter Bradshaw zumindest, Filmkritiker des Guardian, fuhr sehr schlecht gelaunt zurück nach London.

Es war die wohl überraschendste Auszeichnung der letzten Jahre, „Touch Me Not“ als besten Film zu prämieren. Einem Essay über Intimität, der dokumentarische und fiktionale Momente verwebt. Zwar ist er bei Weitem nicht so programmatisch, wie der Titel vermuten lässt. „Touch Me Not“ ist kein expliziter Aufschrei gegen sexuelle Übergriffe. Aber in der offenen Art, wie die Hauptprotagonistin die eigenen Grenzen im intimen Umgang mit anderen auslotet, steckt durchaus auch ein Plädoyer für die sexuelle Selbstbestimmung. Man setzte mit diesem Goldenen Bären ein starkes Statement inmitten der MeToo-Debatte, die während des gesamten Festivals das beherrschende Thema war. So wählte Anke Engelke schon während der Eröffnungsgala die wohl passendsten Worte: „Es ist gerade wichtig zuzuhören, hinzuschauen und zu lernen. Da kommt es nicht darauf an, was man für einen Stoff auf der Haut trägt, oder über was für einen Stoff man geht. Es kommt darauf an, wie man sich verhält.“

 

Hoffnung auf Freiheit

Dass sich die Berlinale als politisches Festival versteht, spiegelt sich nicht nur bei der Preisverleihung, sondern auch bei der Auswahl der Filme wieder. Der Blick wurde geschärft auf die Realität, auf die aktuellen Probleme in Europa und der Welt. Wie in dem dokumentarischen Film „Zentralflughafen THF“ von Regisseur Karim Aïnouz, wo das Leben in den Flüchtlings-Hangars des ehemaligen Hautstadtflughafens Tempelhof gezeigt wird. Der 19 Jahre alte Ibrahim erzählt von seinen Hoffnungen, seiner Verunsicherung, seinem Heimweh und seinen Versuchen, sein Leben in dieser Wartesituation zwischen Impfterminen, Verpflegung und Amtsbesuchen zu gestalten. Zugleich schaut der Film auf das Draußen, das Flugfeld, wie es sich mit den Jahreszeiten verändert. Es ist ein Einblick in eine fremde Welt. Direkt vor unserer Haustür.

Ebenfalls mit der Flüchtlingsdebatte beschäftigt sich der Film „Styx“ von Regisseur Wolfgang Fischer. Die Protagonistin ist eine Notärztin, großartig gespielt von Susanne Wolff, die auf einem einsamen Segelturn durch das Mittelmeer zu sich selbst und die große Freiheit finden möchte. Ihr Urlaub endet abrupt, als sie nach einem Sturm auf ein schiffbrüchiges Boot mit Flüchtlingen stößt. Soll sie die Menschen Retten oder weiterfahren? Ein unlösbares Dilemma, das die Hauptdarstellerin zu der Frage zwingt: Wie kann ich überhaupt helfen? Ein beeindruckendes Kammerspiel und einer der beeindruckendsten Filme in der Festival-Sektion Panorama.

 

Aktuelle Vergangenheit

Ein deutscher Film, der auf der Berlinale für Furore sorgte, war der Wettbewerbsbeitrag von Regisseur Christian Petzold. „Transit“ war einer der großen Favoriten auf den Goldenen Bären und ist die Verfilmung von Anna Seghers autobiographischen Exilroman aus den 1940er Jahren. Der Protagonist Georg, mit großer Präsenz gespielt vom Berlinale-Shootingstar Franz Rogowski, möchte mit den Papieren und der Identität seines verstorbenen Freundes ausreisen. Bei seinen Streifzügen durch Marseille, trifft er auf dessen Frau Marie, die von Paula Beer gespielt wird. Gemeinsam versuchen sie zu Immigrieren. Dabei verharrt man als Beobachter mit den Figuren im Transitraum. In einer Art Warteschleife mit der Hoffnung auf ein besseres Leben. Es entsteht dabei ein Kopfkino, das zwischen Vergangenheit und Gegenwart springt und damit den Blick auf die Aktualität der Geschichte richtet. Ein großartiger Film, der bei der Berlinale-Jury leider viel zu wenig Beachtung fand.

Politisch aktuell ist auch der Forum-Beitrag „Waldheims Walzer“, der den Dokumentarfilmpreis bekam. Es geht um Kurt Waldheim, der nach zehn Jahren als UN-Generalsekretär, seine politische Karriere, mit dem Amt des österreichischen Bundespräsidenten krönen will. Vor seiner Wahl 1985 war Waldheims Rolle als Wehrmachtoffizier im Zweiten Weltkrieg bekannt geworden. Als die Wahrheit ans Licht kam, löste das die erste große Auseinandersetzung um die Rolle Österreichs im Nationalsozialismus aus. So dokumentiert der Film, wie sich die Mehrheit eines ganzen Landes um das Lügengebäude eines Politikers mit Erinnerungslücken schart.  „Unser Film zeigt, wie man mit Populismus und Rassismus Wahlen gewinnen kann“, erklärte die Regisseurin Ruth Beckermann. „Waldheims Walzer“ ist Beitrag, der unbeabsichtigt passend aktuell zur weltpolitischen Lage ist.

Am Ende bleiben von den Internationalen Filmfestspielen die vielen Eindrücke von den Filmen und den Menschen, aus den verschiedensten Ländern. Man beschäftigt sich mit den unterschiedlichen Kulturen und ihre Art Filme zu produzieren. Gespräche und Austausch zwischen Filmschaffenden und Besuchern, schaffen dabei Einblicke in ihre Arbeit. Es ist die zwischenmenschliche Seite, die dieses Filmfestival belebt. Jene Zwischenmenschlichkeit, die im heutigen Alltag viel zu kurz kommt. Gerade bei den ganzen aktuellen Problemen und Katastrophen. Deshalb ist es gut Filme, wie „Touch Me Not“ vor großem Publikum zu zeigen und zu ehren. Denn es ist wichtig zuzuhören, hinzuschauen und zu lernen. Auch im Kino.